Hybrid Selling: Mehr Vertriebsproduktivität durch synchronisierte Vor-Ort- und Online-Besuche

Mit mehr als 3,6 Mio. Beschäftigten stellt der Vertrieb das Rückgrat der deutschen Wirtschaft dar. Der Industriegütermarkt in Deutschland ist insbesondere durch erklärungsbedürftige High-Tech Produkte und Innovationen gekennzeichnet. Diese werden individuell auf den Kunden zugeschnitten und erfordern neben einer engen Zusammenarbeit auch ein hohes Maß an persönlicher Betreuung durch den Vertriebsmitarbeitenden vor Ort beim Kunden.

Seit März 2020 ist im Vertrieb jedoch nichts mehr, wie es einmal war.

Die Mitarbeiter im Verkauf konnten in den meisten Fällen nicht vor Ort beim Kunden sein, sondern mussten den Kunden über digitale Kanäle (Zoom, MS Teams, Skype, …) besuchen. Vor der Corona-Pandemie waren solche „Online-Besuche“ kaum denkbar, inzwischen sind sie für Verkäufer und Kunden in vielen Bereichen zur Normalität geworden. Wir definieren „Hybrid Selling“ als Kombination aus persönlichen Vor-Ort-Besuchen („Face-to-Face“) und Online-Besuchen (z.B. Zoom, MS-Teams, …), durch denselben Vertriebsmitarbeiter.

Als Forschungsteam des Sales Management Departments der Ruhr-Universität Bochum wollten wir verstehen, welche fundamentalen Veränderungen der Vertriebsarbeitswelt stattgefunden haben und wie die Zukunft des Verkaufs aussehen wird. Dazu haben wir Führungskräfte in der Geschäfts- und Vertriebsleitung aus 777 B2B-Unternehmen untersucht.

Nach Analyse der Daten sind wir der festen Überzeugung, dass der Vertrieb im vergangenen Jahr einschneidende Veränderungen erlebt hat. Die Kommunikation und Zusammenarbeit mit dem Kunden wurde digitalisiert und ist nun aus der Distanz möglich.

Vorgehensweise der Studie

In einem ersten Schritt wurde eine qualitative Vorstudie mit 8 Führungskräften aus dem B2B-Vertrieb durchgeführt sowie eine offene Diskussion mit Führungskräften des Bundesverbands der Vertriebsmanager (BDVM) geführt.

Auf Basis der Ergebnisse der Vorstudie wurde in einem zweiten Schritt eine quantitative Vertiefungsstudie als Onlinebefragung konzipiert. Von März bis April 2021 wurden Führungskräfte in der Geschäfts- und Vertriebsleitung mittlerer und großer Unternehmen befragt. Über ein cross-sektionales Studiendesign konnten wir ein möglichst breites Spektrum an Perspektiven sowie Besonderheiten innerhalb einzelner Branchen erfassen.

Inhalt der Studie

Die Studie zeigt thematisch vertiefend aktuelle Entwicklungen in fünf Themengebieten des Hybrid Selling auf. Diese sind…

  • … der COVID-Shutdown 2020 und seine Folgen für den Vertrieb
  • … Entwicklungen in der Nutzung digitaler Kanäle sowie von Vor-Ort- und Online-Besuchen
  • … Auswirkungen der hybriden Betreuung auf die Besuchskapazität des Verkaufs
  • Remote Leadership: Neue Anforderungen durch Hybrid Selling für die Verkaufsführung
  • … das Sales Setup der Zukunft


89% der Unternehmen waren vertrieblich von mindestens einem COVID-Shutdown in 2020 betroffen

Kaum ein Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz war im Jahr 2020 nicht von der Corona-Pandemie betroffen. 89% der Unternehmen waren vertrieblich von mindestens einem Shutdown betroffen. Insbesondere im Frühling, Spätherbst und im Winter konnten Vor-Ort-Besuche beim Kunden nicht oder nur stark eingeschränkt durchgeführt werden. Trotzdem wurden die Vertriebsziele zu 97% erreicht.

Bedeutet dies, dass es den Vertrieb gar nicht braucht oder zeigt sich vielmehr, dass sich der Vertrieb trotz aller Widerstände und Herausforderungen angepasst, neu erfunden und innovativ weiterentwickelt hat?

Wir glauben, dass sich der Vertrieb in 2020 umfangreich weiterentwickelt hat.

Hybrid Selling 2021
Abbildung 1: COVID-Shutdowns und Erreichung Vertriebsziele 2020

Im Jahr 2020 gab es im Verkauf einen massiven Zuwachs in der Nutzung digitaler Kommunikationskanäle

Durch die Corona-Pandemie musste der Vertrieb neue Wege gehen. Um im Shutdown weiterhin mit den Kunden zu interagieren und zusammenarbeiten zu können, wurde die Digitalisierung des persönlichen Verkaufs in 2020 stark vorangetrieben.

Bei digitalen Kommunikationskanälen verbreiteten sich Online-Besuche (Kundengespräche via Zoom, MS-Teams, Skype for Business, …) am stärksten. Während sie in 2019 nur von 32,3% der Unternehmen eingesetzt wurden, waren es in 2020 bereits 86,5%. Dies entspricht einer eine Steigerung von 171% innerhalb eines Jahres. Auch soziale Netzwerke wie LinkedIn (+61%), Video-Calls mit dem Smartphone (+47%) oder Online-Demonstrationen von Produkten und Services (+20%) wurden im vergangenen Jahr häufiger eingesetzt als in 2019.

Hybrid Selling 2021
Abbildung 2: Vertriebliche Nutzung digitaler Kanäle in der Kuneninteraktion (2019 vs. 2020)

Erreichbarkeit via Online-Besuche variiert zwischen Kundengruppen

Generell zeigt sich für alle Kundengruppen, dass Online-Besuche ein probates Mittel sind, um mit Kunden in Kontakt zu treten und zu bleiben.

Ein detaillierter Blick auf verschiedene Kundengruppen zeigt, dass Global Accounts und Key Accounts/ A-Kunden mit jeweils etwa 67% gut über Online-Besuche erreicht werden können. Weitere Kundengruppen (B- und C-Kunden) haben nur eine mittlere Akzeptanz für diesen Kontaktkanal, sodass auch die Erreichbarkeit dieser Kundengruppe über Online-Besuche geringer ausfällt (B-Kunden: 53%; C-Kunden: 42%).

Die Zukunft des Vertriebs ist hybrid

Die Erreichbarkeit der Kunden variiert nicht nur zwischen den Kundengruppen, sondern auch, wenn die Einteilung in Neu- und Bestandskunden beachtet wird.

Generell zeigen die Ergebnisse der Hybrid Selling Studie, dass Online-Besuche den Kanal der Vor-Ort-Besuche nicht vollständig ersetzen können. Vor-Ort-Besuche scheinen in Zukunft vor allem bei Neukunden sowie zur Beziehungspflege bei den Bestandkunden erforderlich zu bleiben.

Die Corona-Pandemie hat die Etablierung hybrider Vertriebsmodelle, in denen Online-Kanäle und persönliche Gespräche vor Ort beim Kunden miteinander kombiniert werden, vorangetrieben. Hybrider Vertrieb stellt eine vielversprechende Möglichkeit dar, die Kapazitäten des Vertriebs neu zu strukturieren sowie effizienter und effektiver einzusetzen.

Hybrid Selling 2021
Abbildung 3: Hybride Vertriebsmodelle als Zukunft des Vertriebs

Hybrid Selling birgt großes Potenzial für zusätzliche Kapazitäten für Verkaufsgespräche

Hybrider Verkauf hat das Potenzial, die produktiv nutzbare Arbeitszeit und Kapazität von Vertriebsmitarbeitern zu erhöhen. Dafür gibt es mehrere Gründe:

  1. Reisezeit der Vertriebsmitarbeitenden reduzierte sich deutlich
    In 2019 reiste ein Mitarbeitender im Außendienst im Durchschnitt 13h seiner wöchentlichen Arbeitszeit. Produktiv wurden davon etwa 35% genutzt, beispielsweise für Telefonate während der Autofahrt. Die restlichen 65% blieben reine Reisezeit. Durch den Wegfall der Reiseaktivitäten in 2020 konnte die ehemals unproduktive Reisezeit in den direkten Kundenkontakt investiert werden. Umgerechnet entsprechen die 65% etwa 8,5 Stunden Arbeitszeit, sodass knapp ein Wochenarbeitstag zusätzlich in direkten Kundenkontakt investiert werden konnte.
  2. Dauer der Kundengespräche
    Die Dauer von Kundengesprächen reduzierte sich durch den Einsatz von Online-Besuchen. Im Vergleich zu Vor-Ort-Besuchen, die pro Besuch etwa 70 Minuten (2019) dauerten, müssen für einen Online-Besuch nur knapp 40 Minuten (2020) eingeplant werden. Als limitierender Faktor ist anzumerken, dass für Online-Besuche mehr Vorbereitungszeit investiert werden musste.

Die durch das hybride Verkaufen freiwerdenden Kapazitäten können beispielsweise für zusätzliche Verkaufsgespräche, eine gründliche Terminvorbereitung oder eine intensivere Marktbearbeitung eingesetzt werden.

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Abbildung 4: Zusätzliches Potenzial durch Hybrid Selling

Durch Hybrid Selling kann der Carbon Footprint jedes Unternehmens reduziert werden

Die Reduktion der Reisezeiten von Vertriebsmitarbeitenden ermöglicht neben der Erhöhung ihrer Kapazitäten eine Reduktion des Carbon Footprints jedes Unternehmens. Wir haben dies an einem Beispiel durchgerechnet:

Wir nehmen ein Unternehmen an, welches 100 Vertriebsmitarbeitende im Außendienst beschäftigt. Dieses Unternehmen entscheidet sich dafür, ein hybrides Verkaufsmodell einzuführen, in dem alle Mitarbeitenden des Außendienstes einen Tag pro Woche Online-Besuche durchführen. Fahren alle Mitarbeitenden einen Tag pro Woche nicht zum Kunden, reduzieren sich die Reisezeiten je Mitarbeitendem um 20%. Auf ein Jahr hochgerechnet kann das Unternehmen durch den hybriden Verkauf insgesamt 97,2 Tonnen CO2 einsparen. Um Klimaneutralität zu realisieren, müsste das Unternehmen ansonsten 7.800 Buchen pro Jahr pflanzen.

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Abbildung 5: Hybrid Selling und die Reduktion des Carbon Footprints

Führungskräfte müssen im hybriden Verkauf als Vorbild vorangehen

Für Führungskräfte im Vertrieb entstanden durch die Umstellung auf ein hybrides Verkaufsmodell einige Veränderungen. Hier drei Beispiele, welche die Befragten der Hybrid Selling Studie genannt haben:

  • Mitreisen von Vorgesetzten in Coaching- und Feedback Funktion waren nicht mehr möglich.
  • Die Führung von und Kooperation innerhalb internationaler Teams wurde vereinfacht.
  • Insbesondere während der Einführung der Online-Kommunikationskanäle mussten Führungskräfte als Vorbilder vorangehen und die Onlinetools selbst intensiv nutzen, um ihre Vertriebsmannschaft während dieses immensen Change-Prozesses von der Funktionalität und Nutzbarkeit der Tools für den Kundenkontakt zu überzeugen.

Zusammenfassung

Die Studie zum Thema Hybrid Selling des Sales Management Departments der Ruhr-Universität Bochum und Mercuri International unterstreicht, welche immensen Auswirkungen und Veränderungen der Vertrieb in der DACH-Region im Jahr 2020 durchgemacht hat. Die Zukunft des Vertriebs wurde maßgeblich durch die Corona-Pandemie beeinflusst. Hybride Vertriebsmodelle, welche viele Unternehmen im letzten Jahr etablierten, geben dem Vertrieb neue Möglichkeiten, um in Zukunft erfolgreich zu sein.



Das Sales Management Department (SMD) der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (RUB) konzentriert sich als einziges universitäres Sales Department Europas auf die Vertriebsforschung. Am SMD forschen und lehren Prof. Dr. Sascha Alavi, Prof. Dr. Christian Schmitz und Prof. Dr. Jan Wieseke sowie vier Habilitanden und rund 20 wissenschaftliche MitarbeiterInnen. Das Department zeichnet sich durch eine enge Verzahnung von exzellenter Forschung, außerordentlichem Engagement in der Lehre und starken Praxispartnern aus. Herzstück des Departments ist der Masterstudiengang „Sales Management“, der seit 2016 angeboten wird und durch sein innovatives Lehrkonzept überzeugt.

Wir suchen die richtigen Antworten für den Vertrieb – in Forschung, Lehre und Praxis!

@Sales Management Department

Autoren der Studie

Prof. Dr. Christian Schmitz
Lehrstuhlinhaber
Sales Management Department der Ruhr Universität Bochum
E-Mail: christian.schmitz@sales-management-department.de



Dr. Matthias Huckemann
Geschäftsführer
Mercuri International
E-Mail: matthias.huckemann@mercuri.de


Mara Hohmann(@sales-management-department.de)
Wissenschaftliche Mitarbeiterin / Doktorandin
Sales Management Department der Ruhr-Universität Bochum
David Ergun(@sales-management-department.de)
Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Doktorand
Sales Management Department der Ruhr-Universität Bochum



Weiterlesen zum Thema Hybrid Selling? Können Sie hier:

„Hybrid Selling: Leitplanken für den B-to-B-Vertrieb der Zukunft“, absatzwirtschaft

„Corona Lehren für die Arbeit: Vertriebler können vier Mal produktiver sein“, ntv

„Warum Corona im Vertrieb für einen Produktivitätsschub sorgen kann“, capital

„Studie: Immer mehr Unternehmen halten am HomeOffice fest“, Süddeutsche Zeitung (SZ)

„Verkaufen im Lockdown: das große Vertriebswunder“, Werben und Verkaufen (W&V)

„Weniger Dienstreisen, mehr Effizienz: So verändert sich der Vertrieb“, Basic Thinking

„Hybrid Selling: Wie der B2B-Vertrieb auch in schwierigen Zeiten seine Ziele erreicht“, OnetoOne


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